"Orgelgesang" erklang am Sonntag, dem 11. August 2024, in der Marienkirche. Prof. Dr. Olivier Guillon und seine Frau Soline Guillon waren aus dem fernen Jülich gekommen, um sie zur Einstimmung auf die Feierlichkeiten zum 600-jährigen Jubiläum mit wunderbaren Orgelklängen und herzwärmendem Gesang zu erfüllen.
Die beiden Guillons sind schon seit vielen Jahren mit der Marienkirche Ziegenhain verbunden: Prof. Dr. Olivier Guillon, studierter Organist (Besançon/Frankreich), war von 2012 bis Anfang 2014 Organist an der Marienkirche in Ziegenhain, während er als Professor am Institut für Materialwissenschaften an der Universität Jena tätig war, bis er einen Ruf an das Forschungszentrum Jülich erhielt. Seine Frau Soline Guillon studierte Orgel, Chorleitung und Gesang bei renommierten Lehrerinnen und Lehrern in Besançon, Genf, Seattle und Köln, teils mit dem Schwerpunkt Alte Musik; sie ist als Kirchenmusikerin an der Christuskirche Jülich tätig.
Das abwechslungsreiche Programm bot tausend Kostbarkeiten für die Liebhaber alter Musik, passend zur historischen Gerhard-Orgel in der Marienkirche aus dem Jahr 1764. Es war mit besonderem Bedacht ausgewählt, denn es wurden ausgesucht schöne Musikstücke des mitteldeutschen Barocks zu Gehör gebracht. Die Komponisten verbrachten fast alle ihr Leben ganz oder teilweise in Mitteldeutschland und hatten zum Teil auch Bezüge zu Johann Sebastian Bach bzw. zur Bach-Familie.
Allein mit dem deutsch-französischen Barock-Komponisten Georg Muffat (1653-1704) deutete sich ein feiner Bezug zum Künstlerpaar an. Seine Toccata Octva aus dem "Apparatus musico-organisticus" machte mit ihren flott gespielten, meist schnellen Sätzen den fröhlichen Auftakt. Sie wurde kontrastiert von Johann Sebastian Bachs (1653-1750) Rezitativ und Arie "Ich habe genug … Schlummert ein, ihr matten Augen" aus der Kantate BWV 82a, von Soline Guillon virtuos und einfühlsam dargeboten. Mit Johann Ludwig Krebs' (1713-1780) Choralbearbeitung "Meinen Jesum laß ich nicht" entlockte Olivier Guillon der Gerhard-Orgel gesangliche Töne, die er mit der Ciacona f-moll von Johann Pachelbel (1653-1706) in einen ernsten, edlen Tanz im ¾-Takt wandelte.
Nach der Lesung des Lobgesangs der Maria (Lukasevangelium 1,46b-55) und seiner Auslegung schloss sich der zweite Teil des Konzerts an, in dem erneut Gesang mit Orgelbegleitung und "Orgel pur" einander ablösten. Auf die innige Arie "Pure del Cielo intelligenze terne … Tu del Ciel ministro eletto" aus dem Oratorium "Il trionfo del Tempo e del Disinganno" von Georg Friedrich Händel (1685-1759, HWV 4) folgten sechs Versus für Orgel von Johann Gottfried Walther (1684-1748) über das Kirchenlied "Meinen Jesum lass ich nicht" (heute EG 402), in dem der Organist alle Finessen der alten Gerhard-Orgel auslotete und das Publikum mit dem effektvollen Einsatz des Tremulanten überraschte. Das Konzert endete mit zwei weiteren Stücken von Johann Sebastian Bach (1685-1750): Nachdem Soline Guillons zauberhafter Sopran die Kirche mit der Aria di Giovannini "Willst du dein Herz mir schenken" (BWV 518) erfüllt hatte, führte Olivier Guillon das Konzert an der Orgel mit dem Concerto in g (BWV 985) zu einem letzten Höhepunkt.
Soline und Olivier Guillon haben die Marienkirche und ihre Konzertgemeinde zum 600. Jubiläum mit wunderbarer Musik und einem vielseitigen Konzertprogramm beschenkt, dessen musikalische Schönheit und musikgeschichtliche Tiefe große Freude und Genuss boten. Die zahlreichen Konzertbesucher und -besucherinnen applaudierten begeistert und zogen erfüllt von der Musik und – wer mochte – gestärkt von einer Tasse Kaffee im romantischen Ruinenteil der Marienkirche nach Hause.